Marias Lichtblick

Eric Münch

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Sie sitzt mit ihrem dicken Babybauch auf dem Sofa in ihrer Prohliser Wohnung und übt mit zwei großen Puppen: windeln, an- und ausziehen, füttern, Baby durch die Wohnung tragen. „Allet nur mit eenem Arm“, berlinert die Brandenburgerin Maria Wurst. „Ich muss doch wissen, ob det geht.“ Sie schimpft dann manchmal mit ihrem linken Arm, den sie „Edgar“ nennt, verachtet ihn, weil er so nutzlos ist, schlägt ihn sogar. Edgar ist gelähmt, wie ihre gesamte linke Körperseite. Gerade hat sie in einer TV-Dokumentation gesehen, wie eine amerikanische Mutter ohne Arme vier Kinder großgezogen hat. Maria macht so etwas Mut. Sie glaubt schon, dass sie vieles allein hinbekommt. Aber Baby baden zum Beispiel geht gar nicht. Sie wird ihrem Kind auch später nicht so einfach hinterherlaufen können. Sie kommt selbst nur langsam und mit Stock voran. Und was, wenn ihr, wie gerade eben, auch noch der gesunde Fuß einschläft? Sie hat jetzt eine Assistenz beantragt und hofft sehr, dass diese Hilfe genehmigt wird, wenn ihr Kind erst einmal auf der Welt ist.

Der Unfall
Marias Schicksalstag ist der 17. November 2003, sie ist zwölf Jahre alt. An diesem Tag fährt sie in ihrer Heimatstadt Luckenwalde mit dem Fahrrad. Plötzlich war da an einer Kreuzung ein Auto, sie wird durch die Luft geschleudert und prallt mit dem Kopf auf die Windschutzscheibe. Sie kennt die Fotos, eigene Erinnerungen an den Unfall hat sie nicht. Im Krankenhaus wird ein Schädelhirntrauma dritten Grades festgestellt. Sie bekommt epileptische Anfälle. Maria wird vier Wochen ins künstliche Koma versetzt. „Ich bin dem Tod von der Schippe gesprungen.“
Fünf Monate muss sie im Krankenhaus bleiben, dann sechs Monate Reha. „In den ersten Jahren nach dem Unfall habe ich mich wie unter Drogen gefühlt.“ Bis zu ihrem 17. Lebensjahr wird sie mehrfach operiert, immer wieder am Kopf. Aber die halbseitige Lähmung ist nicht zu beseitigen. Sprachfindungsstörungen kommen hinzu, Depressionen. Immerhin kann sie auf einen Rollstuhl fast ganz verzichten.
Ihre Teenagerzeit verbringt sie in einem Internat einer Potsdamer Förderschule. In dieser Zeit stirbt ihr Vater, der zwar streng war, aber zu dem sie wenigstens eine Beziehung hatte. Die Mutter und ihr neuer Freund können mit dem behinderten Mädchen wenig anfangen. „Ich hab` auch einigen Blödsinn gemacht.“ Mit 17 zieht sie endgültig aus der elterlichen Wohnung, halb wird sie rausgeworfen. Freunde nehmen sie in einer WG auf und helfen ihr, sich über Wasser zu halten. Geld hat sie nicht, Ahnung im Umgang mit den Behörden auch nicht.
Eine Berufsausbildung will sie unbedingt, Büroarbeit scheint auch möglich. Aber nach monatelangen Tests war klar: Sie wird es vorerst nicht schaffen, die gesundheitlichen Einschränkungen sind zu groß. Ihr wird Arbeit in einer Behindertenwerkstatt empfohlen. Sie lehnt entrüstet ab. Immer nur mit Behinderten zusammen? „Nee, danke.“
Die nächste Chance bietet ihr die Helene-Maier-Stiftung in Kreischa. Sie will Schädel-Hirn-Verletzten, die keiner Erwerbstätigkeit nachgehen können, neue Lebensperspektiven bieten. „Die sind super“, sagt Maria. „Die haben da einen Bauernhof. Det macht richtig Spaß“.

Lichtblick hilft
Gleichzeitig bekommt sie immer wieder neue Therapien, die ihr helfen sollen, mobiler zu werden. Die Ärzte empfehlen dringend ein Therapiefahrrad. Der erste Antrag wird abgelehnt. Die Stiftung Lichtblick der Sächsischen Zeitung springt ein und hilft, das nicht ganz billige Teil zu finanzieren. Maria freut sich sehr über das dreirädrige Gefährt mit Feststellbremse, Schiene für Edgar und großem Gepäckkorb. Und sie hat rasch gemerkt: Nach dem Fahrradfahren fällt ihr tatsächlich auch das Laufen leichter. Nur gerade, mit dem dicken Bauch, traut sie sich ohne Hilfe nicht so recht in den Sattel. Das soll nach der Geburt wieder anders werden.
Am späten Nachmittag kommt „Bobbelchen“ nach Hause, ihr Freund Andre Troschitz. Er ist groß, kräftig, fröhlich, trägt Dreitagebart. Ein begeisterter Lokführer, zurzeit in der Umschulung. Sie hat ihn übers Internet gesucht, er hat sie gefunden und will mit ihr eine Familie gründen. Bobbelchen erledigt Einkäufe, übernimmt das Staubsaugen (Maria: „Das kann ich gar nicht“) und fährt mit ihr im Auto ins Lieblingscafé in die Dresdner City oder zu Freunden. Sie schätzt seinen unverwüstlichen Humor und seine Hilfsbereitschaft. Er liebt ihre unkomplizierte Art und hat sich darauf eingestellt, dass mit ihr das Leben ein bisschen langsamer geht. Irgendwann stellte er überrascht fest, dass ihm das ganz guttut.
Wie die Zukunft wird? Sehr weit voraus zu träumen wagen sie noch nicht. Irgendwann wollen sie sich zusammen eine größere, eine Dreizimmerwohnung nehmen und eine normale Familie werden. Sie können sich gut vorstellen, in Prohlis zu bleiben. Hier ist es schön grün und alle Einrichtungen sind für Maria gut und leicht zu erreichen.

Es wird ein Mädchen
Jetzt sind es nur noch fünf Wochen bis zur Geburt. Es wird ein Mädchen. Leni soll sie heißen. Der Kinderwagen steht schon im Flur, der Stubenwagen im Schlafzimmer. Vor einigen Wochen haben sie allerdings erfahren, dass Leni nicht gesund ist. Eine Herzkammer ist nicht richtig ausgebildet. „Ich zieh` das Unglück magisch an“, meint sie traurig.
Aber so etwas ist heute heilbar. Die Kleine wird dreimal operiert werden müssen. Maria und ihr Bobbelchen haben sich genau erklären lassen, wie das mit Leni wird und was sie tun können, damit das Kind gesund aufwächst.
Inzwischen sind sie zuversichtlich. Es wird schon. Und irgendwann muss das Schicksal doch ein Einsehen haben.

Autor: Olaf Kittel

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